Lauberhorn


Der gehörlose Skirennfahrer Philipp Steiner aus Konolfingen durfte bei den Lauberhornrennen in Wengen zweimal als Vorfahrer über die Abfahrtspiste. «Es war traumhaft», sagt der 25-jährige Sanitärmonteur.

 

«Vor dem Rennen war ich sehr nervös», sagt Philipp Steiner.

Philipp Steiner ist ein Aushängeschild des Gehörlosensports in der Schweiz: Er hat im
letzten Winter drei Silbermedaillen bei der EM in Davos geholt. An der WM in Nesselwang
in Deutschland im Februar peilt er Gold an. Doch den Karrierehöhepunkt erlebte der
junge Mann am Freitag und am Samstag. Da rauschte der 25-Jährige als Vorfahrer über
die längste Abfahrtspiste der Welt, die Lauberhornstrecke. «Mir gelang eine Superfahrt»,
sagt Steiner nach der Kombiabfahrt vom Freitag begeistert. «Heute habe ich mehr
attackiert als im ersten Training.»

Respekt vor der harten Piste

Steiner wies einen Rückstand von zehn Sekunden auf den Sieger auf. «Ich habe gedacht,
ich verliere 15 oder 20 Sekunden.» Steiner spricht von seiner Nervosität und seinem
Respekt vor der «pickelharten Piste» und davon, dass die Abfahrt seine
Lieblingsdisziplin sei. «Es war traumhaft.» Trotz der grossen Nervosität vor dem Rennen.
Beim Hundschopf sei er weit gesprungen, viel weiter als im Training, sagt Steiner.
Die anschliessende Minschkante fuhr ihm in die Beine: «Die Minschkante ist am
schlimmsten, sie erfordert enorm viel Kraft. Da erträgt es überhaupt keinen Fehler.»
Am Samstag unterlief ihm genau dort ein schwerer Fehler, der ihm einige zusätzliche
Sekunden Rückstand auf Sieger Christof Innerhofer eintrug. Beim Haneggschuss ist
auch Steiner mit rund 150 Kilometern pro Stunde unterwegs, am Samstag wurde hier
der Geschwindigkeitsrekord geknackt: Der Franzose Johan Clarey erreichte 161,9 km/h.

Mehr Angst als die Freundin

Das Ziel-S sei sehr anspruchsvoll zu fahren. «Da musst du hoffen, dass du nach der
langen Fahrt noch genügend Kraft in den Beinen hast.» Am Samstag hat auch seine
Freundin Ariane Gerber zugeschaut, sie mache sich wohl schon Sorgen um ihn, sagt er:
«Ich selber habe aber mehr Angst, glaube ich.» Damit er von den Fans auch den
Applaus «hört», machen die Zuschauer im Zielraum die Welle und winken.
«Die Fans waren super, es war eine unglaubliche Erfahrung und ein Abenteuer»,
sagt Steiner. Am Samstag war er froh, heil unten im Ziel angekommen zu sein.
Trotzdem ist für ihn klar: «Nächstes Jahr möchte ich wieder dabei sein.»
Philipp Steiner ist seit Geburt taub, das Gleichgewicht steuert er über die Augen.
Gehörlose, die später ertauben, haben meist Probleme mit der Balance,
er nicht. Ist er also beim Skifahren gar nicht besonders behindert?
«Ich reagiere auf der Piste langsamer als die anderen Fahrer», sagt Steiner.
Dank dem Gehör merke ein hörender Fahrer sehr rasch, ob eine Partie besonders
eisig sei. Wie die Ski auf der Piste kratzen und rattern - oft ist das die erste Information
für einen Fahrer. «In einem Gleiterstück hört man auch, ob die Ski gerade und eben
auf dem Schnee liegen.» Der frühere Skirennfahrer Marco Büchel sagte Steiner,
er könne sich nicht vorstellen, ohne Gehör Ski zu fahren.

Auch im Tennis an der Spitze

Mit seinen Mitmenschen kann sich Steiner gut unterhalten: Spricht man deutlich und
nicht zu schnell, kann er die Worte von den Lippen ablesen. Der Konolfinger,
der seit kurzem in Münsingen wohnt, antwortet gut verständlich auf Hochdeutsch.
Er arbeitet zu 100 Prozent als Sanitärmonteur in Bern, die Ferien und die Wochenenden verwendet er für das Skifahren. Während der Woche widmet er sich dem Krafttraining
und der Ausdauer.
Daneben spielt er Tennis - und auch das ausnehmend gut: Letztes Jahr heimste er bei
der Schweizer Meisterschaft der Gehörlosen im Einzel den Titel ein. Für das Lauberhorn
hat ihm sein Arbeitgeber eine zusätzliche Woche Ferien spendiert. Unterstützt wird Steiner
auch von seinen Eltern. Für das kriselnde Männerteam, das am Freitag durch Carlo Janka immerhin einen Podestplatz einheimsen konnte, hofft er auf baldige Besserung.
«Sie leiden darunter und sind blockiert. Es braucht weitere Topresultate.» Mit dem
Skifahren hat er zwar als Kind begonnen, mit dem Leistungssport aber erst als 14-Jähriger.
Hätte Philipp Steiner früher angefangen - vielleicht würde er heute nicht als Vorfahrer,
sondern als Mitglied des Schweizer Weltcup-Teams ins Rennen steigen.

Deaflympics als grosses Ziel

Der Gehörlosensport findet nur wenig Aufmerksamkeit. Entsprechend rar machen sich
die Sponsoren und entsprechend klein sind die Prämien für gewonnene Medaillen.
Fehlende finanzielle Mittel sind immer wieder ein Problem für die Veranstaltungen.
2011 wurden deshalb die Deaflympics in der Slowakei kurzfristig abgesagt.

Nun hofft Philipp Steiner auf 2015, wenn die nächsten Deaflympics ausgetragen werden
sollen - im Olympiaort Sotschi. Steiner bedauert aber auch, dass es noch nicht zu einem
Anschluss der Gehörlosenspiele an die Paralympics gekommen ist.
«Die Paralympics haben einen höheren Stellenwert, das würde dem
Gehörlosensport viel bringen.»
Leider habe es bisher wegen der Sturheit der Funktionäre noch nicht geklappt.

Der Schweizerische Gehörlosensportverband SGSV-FSSS ist der älteste
Behindertensportverband der Schweiz und wurde 1930 gegründet. Der Verband weist
2000 Mitglieder im Breitensport auf, davon haben rund 500 eine Lizenz im Wettkampfsport

Bericht

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